II. Beschwerden gegen Einspracheentscheide des
Migrationsamts
80 Familiennachzug; Recht auf Achtung des Familienlebens gemäss Art. 8
EMRK
Verweigerung des Familiennachzuges ist i.c. gemäss nationalem Recht
nicht zu beanstanden. Hingegen verstösst sie gegen Art. 8 EMRK
(Erw. II./6.-7.).
Der Frage, ob es den Betroffenen zumutbar ist, das Familienleben im
Ausland zu führen, kommt eine wesentliche Bedeutung zu (Erw. II./6.1.).
Ein Betroffener kann sich auch dann auf Art. 8 EMRK berufen, wenn das
nachzuziehende Kind im Laufe des Verfahrens volljährig geworden ist
(Erw. II./6.2.).
Die Verweigerung des Familiennachzuges führt nur dann zum Eingriff in
das durch Art. 8 EMRK geschützte Rechtsgut, wenn es den Betroffenen
unzumutbar ist, das Familienleben im Ausland zu führen (Erw. II./6.3.).
Liegt ein Eingriff in das durch Art. 8 EMRK geschützte Rechtsgut vor, ist
im Rahmen einer Interessenabwägung zu prüfen, ob der Eingriff auf-
grund eines überwiegenden öffentlichen Interesses gerechtfertigt ist
(Erw. II./6.4.).
Aus dem Entscheid des Rekursgerichts im Ausländerrecht vom 12. Septem-
ber 2006 in Sachen M.Y. betreffend Familiennachzug (1-BE.2005.54).
A. Der Beschwerdeführer reiste am 15. August 1987 in die
Schweiz ein. Am 27. Februar 1998 heiratete er eine Schweizer Bür-
gerin. Aus dieser Ehe ging ein Sohn, geb. 12. Januar 1999, hervor.
Seit Oktober 2002 besitzt der Beschwerdeführer das Schweizer Bür-
gerrecht.
Am 5. Juni 2003 reichte der Beschwerdeführer beim ersten Zi-
vilgericht von Konya Klage auf Feststellung der elterlichen Gewalt
betreffend seine Tochter aus einer früheren Beziehung, geb. 12. Mai
1987, ein. Die Klage wurde mit Urteil vom 22. Dezember 2003 gut-
geheissen und dem Beschwerdeführer die elterliche Gewalt über
seine in der Heimat lebende Tochter übertragen.
Mit Eingabe vom 14. September 2004 stellte der Beschwerde-
führer ein Gesuch um Familiennachzug für seine Tochter. Mit Verfü-
gung vom 1. Dezember 2004 lehnte das Migrationsamt, Sektion Ein-
reise und Arbeit, das Gesuch um Familiennachzug ab.
B. Dagegen erhob der Beschwerdeführer am 21. Dezember
2004 beim Rechtsdienst des Migrationsamtes (Vorinstanz) Einspra-
che, welche durch die Vorinstanz am 24. August 2005 abgewiesen
wurde.
C. Mit Eingabe vom 19. Oktober 2005 erhob der Beschwerde-
führer gegen den vorinstanzlichen Entscheid Beschwerde.
II. 6. Zu prüfen bleibt, ob die Verweigerung des Familiennach-
zugs vor Art. 8 EMRK standhält.
6.1.1. Dabei ist die Rechtsprechung des Europäischen Gerichts-
hofes für Menschenrechte (EGMR), insbesondere das Urteil vom
1. Dezember 2005 in Sachen Tuquabo-Tekle u.a. gegen die Nieder-
lande (Application Nr. 60665/00 [Fall Tuquabo]), zu beachten. In je-
nem Fall reichten die Mutter und deren Ehemann 1997 in den Nie-
derlanden ein Nachzugsgesuch für die 1981 aus erster Ehe geborene
Tochter ein. Diese lebte seit der Flucht der Mutter im Jahre 1989 bei
ihrer Grossmutter mütterlicherseits in Äthiopien (heute Eritrea). Die
Mutter erhielt im Jahre 1990 in Norwegen eine Aufenthaltsbewilli-
gung aus humanitären Gründen, holte nach Bewilligung des Famili-
ennachzugs im Jahre 1991 ihren ältesten Sohn zu sich und übersie-
delte nach ihrer Heirat im Jahre 1993 zusammen mit ihrem Sohn zu
ihrem Ehemann in die Niederlande. Sie gebar dort 1994 und 1995
zwei weitere Kinder. Der ganzen Familie wurde die niederländische
Staatsangehörigkeit erteilt. Da die niederländischen Behörden den
Nachzug verweigerten, riefen die Mutter und ihr Ehemann zusam-
men mit der Tochter am 12. Juli 2000 den Europäischen Gerichtshof
für Menschenrechte an. Dieser kam fünf Jahre später zum Schluss,
die niederländischen Behörden hätten keine faire Abwägung zwi-
schen den Interessen der Beschwerdeführer auf der einen und den In-
teressen des Staates auf Kontrolle der Zuwanderung auf der anderen
Seite vorgenommen, weshalb die Verweigerung des Nachzugs eine
Verletzung von Art. 8 EMRK darstelle.
6.1.2. In einer Besprechung des Entscheides Tuquabo durch
Marc Spescha in der Anwaltsrevue 4/2006, S. 144 ff., gelangt dieser
zum Schluss, das Hauptaugenmerk sei beim Nachzug von Kindern
im Hinblick auf Art. 8 EMRK darauf zu richten, ob es den Eltern zu-
mutbar sei, ihre neue Heimat zu verlassen und die Familienvereini-
gung im Ausland zu vollziehen. Bei genauer Analyse hat der EGMR
jedoch die Verletzung von Art. 8 EMRK nicht allein damit begrün-
det, dass es den Eltern unzumutbar war, die Niederlande zu verlas-
sen, sondern damit, dass die niederländischen Behörden keine adä-
quate Interessenabwägung vorgenommen hätten (Tuquabo, § 52:
"Having regard to the above, the court finds that the respondent State
has failed to strike a fair balance between the applicants' interests on
the one hand and its own interest in controlling immigration on the
other."). Neben der Frage der Zumutbarkeit, das Familienleben im
Ausland zu führen, wurden weitere private Interessen geprüft und
dem öffentlichen Interesse an einer Bewilligungsverweigerung ge-
genüber gestellt.
6.1.3. Für die Beurteilung einer allfälligen Verletzung von Art. 8
EMRK kommt der Frage, ob es den Betroffenen zumutbar ist, das
Familienleben im Ausland zu führen, dennoch eine besondere,
doppelte - jedoch nicht allein entscheidende - Bedeutung zu.
Steht fest, dass ein durch Art. 8 Ziff. 1 EMRK geschütztes Fa-
milienleben vorliegt (was nach dem Fall Tuquabo auch dann der Fall
sein kann, wenn das nachzuziehende Kind im Entscheidzeitpunkt das
18. Altersjahr bereits überschritten hat) und wird das Familienleben
tangiert (was z.B. nicht der Fall wäre, wenn ein Kind bereits vorläu-
fig aufgenommen wurde und nun den Erhalt einer Aufenthalts- oder
Niederlassungsbewilligung anstrebt), kann sich ein Betroffener auf
Art. 8 EMRK berufen, womit eine materielle Prüfung vorzunehmen
ist. Der Frage der Zumutbarkeit, das Familienleben im Ausland zu
führen, kommt insofern eine doppelte Bedeutung zu, als zunächst zu
prüfen ist, ob überhaupt ein Eingriff in das geschützte Familienleben
vorliegt. Ist es den Betroffenen zumutbar, die Familienzusammen-
führung im Ausland vorzunehmen, liegt von vornherein keine Verlet-
zung von Art. 8 EMRK vor, da ein Eingriff in das geschützte Famili-
enleben zu verneinen ist. Steht jedoch fest, dass es den Betroffenen
nicht zumutbar ist, das Familienleben im Ausland zu führen, liegt ein
Eingriff in das durch Art. 8 Ziff. 1 EMRK geschützte Familienleben
vor. In diesem Fall ist gemäss Art. 8 Ziff. 2 EMRK weiter zu prüfen,
ob der Eingriff gesetzlich vorgesehen und verhältnismässig ist. Dabei
ist - wie vom EGMR gefordert - eine Interessenabwägung vorzuneh-
men. Das heisst, es sind anhand der durch den EGMR festgelegten
Kriterien und Massstäbe das öffentliche Interesse - insbesondere an
einer geregelten Zuwanderungskontrolle - und die privaten Interes-
sen an einem intakten Familienleben bzw. am Nachzug des Kindes
zu quantifizieren und einander gegenüber zu stellen. Die Verweige-
rung der Familienzusammenführung hält nur dann vor Art. 8 EMRK
stand, wenn das öffentliche Interesse überwiegt, wobei die Unzumut-
barkeit, das Familienleben im Ausland zu führen, bei der Interessen-
abwägung als gewichtiges privates Interesse zu berücksichtigen ist.
Die Prüfung der Zumutbarkeit, das Familienleben im Ausland
zu führen, beantwortet also nicht nur die Frage, ob überhaupt ein
Eingriff in das geschützte Familienleben vorliegt, sondern ist gege-
benenfalls zusätzlich als Teil des privaten Interesses zu berücksichti-
gen, weshalb der Zumutbarkeitsfrage eine doppelte Bedeutung zu-
kommt. Sie ist jedoch nicht allein entscheidend, da dem Familien-
nachzug trotz Unzumutbarkeit, das Familienleben im Ausland zu
führen, einerseits gewichtigere öffentliche Interessen entgegenstehen
können. Andererseits kann das private Interesse an einem Familien-
nachzug durchaus aufgrund weiterer Umstände erhöht werden.
6.1.4. Der EGMR hat verschiedentlich eine Verletzung von
Art. 8 EMRK mit der Begründung verneint, es sei den Betroffenen
zumutbar, das Familienleben im Ausland zu führen. Auch im Fall
Gül hatte der EGMR in der Verweigerung des nachträglichen Famili-
ennachzugs keine Verletzung von Art. 8 EMRK gesehen. Er hielt
fest, dass es beim Familiennachzug nicht nur um das Familienleben,
sondern auch um Immigration gehe. Im Weiteren verpflichte der
Schutz des Familienlebens gemäss Art. 8 EMRK einen Staat nicht
dazu, die Zusammenführung der Familie auf seinem Territorium zu
bewilligen (Fall Gül, § 38). Unter dieser Prämisse prüfte der EGMR,
ob im konkreten Fall die Bewilligung des Familiennachzugs die ein-
zige Möglichkeit sei, ein Familienleben zu führen. Er kam jedoch
zum Schluss, dass den um Nachzug ersuchenden Eltern trotz langer
Anwesenheitsdauer im Gastland keine Hindernisse im Wege standen,
in ihr Herkunftsland zurückzukehren (Fall Gül, § 39-42). Gleich ar-
gumentierte der EGMR im Urteil i.S. Benamar gegen die Nieder-
lande vom 5. April 2005 (Application Nr. 43786/04; S. 7 f.), im Ur-
teil I.M. gegen die Niederlande vom 25. März 2003 (Application
Nr. 41266/98, S. 7 f.) und im Urteil Chandra u.a. gegen die Nieder-
lande vom 13. Mai 2003 (Application Nr. 53102/99, S. 7 f.). Bei ge-
nauer Betrachtung liegt in all diesen Fällen gar kein Eingriff in das
geschützte Familienleben vor, da die Familienzusammenführung
auch im Ausland erfolgen konnte.
6.1.5. Das Bundesgericht scheint den Aspekt der Unzumutbar-
keit, das Familienleben im Ausland zu führen, bereits in seinem weg-
leitenden Reneja-Entscheid (BGE 109 Ib 183) berücksichtigt zu ha-
ben. Allerdings nicht unter dem Titel "Eingriff in ein geschütztes
Rechtsgut", sondern bei der Frage, ob sich jemand überhaupt auf
Art. 8 EMRK berufen könne.
Das Bundesgericht erwog, dass ein Berufen auf Art. 8 EMRK
nur zulässig sei, wenn der in der Schweiz Anwesende über ein Anwe-
senheitsrecht verfüge. Das Bundesgericht wörtlich: "Ferner kann die
Nichterneuerung der Aufenthaltsbewilligung eines Familiengliedes
das in Art. 8 EMRK gewährleistete Familienleben nur dann berüh-
ren, wenn ein anderer Familienangehöriger über ein Anwesenheits-
recht in der Schweiz verfügt. Dies ist vor allem bei der Schweizer
Bürgerin der Fall, die einen Ausländer geheiratet hat, dann aber auch
bei einem Ausländer einer Ausländerin, die über eine Niederlas-
sungsbewilligung in der Schweiz verfügt." (BGE 109 Ib 183, E. 2a,
S. 186). Trotz dieser ursprünglich offenen Formulierung bezüglich
Aufenthaltsstatus des hier Anwesenheitsberechtigten wurde die Zu-
lässigkeit einer Berufung auf Art. 8 EMRK später auf jene Anwesen-
heitsberechtigte beschränkt, die über ein so genannt gefestigtes An-
wesenheitsrecht verfügten. Begründet wurde dies damit, dass keine
Person mehr Rechte übertragen kann, als ihr selbst zustehen
(BGE 126 II 335, E. 2a, S. 340 sowie Uebersax in: Uebersax/Münch/
Geiser/Arnold, Ausländerrecht, Rz. 5.157). Diese Beschränkung
steht jedoch weder im Einklang mit der Rechtsprechung des EGMR
noch überzeugt sie. Art. 8 EMRK verschafft nach konstanter Lehre
und (bundesgerichtlicher) Rechtsprechung keinen Anspruch auf
Erteilung einer bestimmten Aufenthaltsbewilligung. Ein allfälliger
Eingriff in ein geschütztes Familienleben wird bereits dadurch
beseitigt, dass die betroffenen Familienangehörigen hier zusam-
menleben können. Inwiefern ein hier anwesendes Familienmitglied
einem anderen Familienmitglied dabei mehr Rechte übertragen sollte
als es selbst besitzt, ist nicht ersichtlich.
Der ursprüngliche Beweggrund des Bundesgerichts, es könne
sich nur derjenige auf Art. 8 EMRK berufen, der ein Anwesenheits-
recht besitze, dürfte ein anderer gewesen sein. Verfügt jemand über
kein Anwesenheitsrecht in der Schweiz, wird es ihm in vielen Fällen
zumutbar sein, die Schweiz wieder zu verlassen und die Familienzu-
sammenführung im Ausland zu vollziehen. Das Bundesgericht ging
wohl ursprünglich davon aus, dass unter diesen Umständen von
Vornherein kein Eingriff in das geschützte Familienleben vorliegen
könne ("..., das in Art. 8 EMRK gewährleistete Familienleben nur
dann berühren ..."), weshalb es damals die Berufungsmöglichkeit
auf Art. 8 EMRK von einem Anwesenheitsrecht abhängig machte.
Der so verstandene Reneja-Entscheid stellt damit eine pragmati-
sche, wenn auch nicht alle Aspekte berücksichtigende Lösung der
Frage dar, ob überhaupt ein Eingriff in das Familienleben vorliegt.
Nachdem aber der Problematik der Zumutbarkeit der Zusammenfüh-
rung der Familie im Ausland - wie bereits dargelegt - sowohl im Hin-
blick auf die Frage, ob ein Eingriff in das geschützte Familienleben
vorliegt als auch, ob dieser verhältnismässig ist, eine derart zentrale
Bedeutung zukommt, darf deren Überprüfbarkeit nicht vom Bestehen
eines (gefestigten) Anwesenheitsrechts abhängig gemacht werden.
Vielmehr ist der Aufenthaltsstatus der hier anwesenden, sich auf
Art. 8 EMRK berufenden Person im Rahmen der Prüfung der Zu-
mutbarkeit der Ausreise aus der Schweiz und Familienzusammen-
führung im Ausland zu berücksichtigen.
6.2. Im vorliegenden Fall stellt sich zunächst die Frage, ob sich
der Beschwerdeführer überhaupt auf Art. 8 EMRK berufen kann.
6.2.1. Art. 8 Ziff. 1 EMRK garantiert den Schutz des Familien-
lebens. Grundsätzlich umfasst der Schutzbereich von Art. 8 EMRK
neben der eigentlichen Kernfamilie (Beziehungen zwischen Ehe-
gatten sowie zwischen Eltern und minderjährigen Kindern) auch die
Beziehung zwischen Eltern und erwachsenen Kindern sowie die Be-
ziehung zwischen Geschwistern. In ausländerrechtlichen Fällen ge-
währleistet Art. 8 Ziff. 1 EMRK gemäss der Rechtsprechung des Eu-
ropäischen Gerichtshofes für Menschenrechte das Familienleben aus-
serhalb der Kernfamilie jedoch nur dann, wenn eine faktische Fa-
milieneinheit vorliegt, die zusätzliche Elemente einer Abhängigkeit
aufweist, die über normale, gefühlsmässige Verbindungen hinausge-
hen (vgl. hierzu Niccolò Raselli / Christina Hausammann, in: Ueber-
sax/Münch/Geiser/Arnold, Ausländerrecht, Rz. 13.65).
Für die Beurteilung, ob es um den Nachzug eines Erwachsenen
oder eines Jugendlichen geht, war gemäss bisheriger Praxis des Bun-
desgerichts auf die aktuellen Gegebenheiten und demnach auf den
Zeitpunkt des jeweiligen Urteils abzustellen. Sofern das nachzuzie-
hende Kind im Laufe des Verfahrens volljährig wurde, liess das Bun-
desgericht eine Berufung auf Art. 8 EMRK nur noch zu, wenn eine
besondere Abhängigkeit zwischen Eltern und Kind nachgewiesen
wurde (BGE 129 II 11, E. 2 mit weiteren Verweisen).
In diesem Zusammenhang ist die Rechtsprechung des Europäi-
schen Gerichtshofes für Menschenrechte im Fall Tuquabo zu beach-
ten. Der EGMR bejahte eine Verletzung von Art. 8 EMRK, obwohl
das nachzuziehende Kind das 18. Altersjahr bereits überschritten
hatte, als das national letztinstanzlich entscheidende Gericht sein Ur-
teil fällte. Im Zeitpunkt des Urteils des EGMR war das nachzuzie-
hende Kind gar 24 Jahre alt. Dabei wurde von der klagenden Partei
weder geltend gemacht, das nachzuziehende Kind sei trotz fortge-
schrittenen Alters von der Mutter abhängig, noch war eine solche
Abhängigkeit ersichtlich. Aufgrund des EGMR-Entscheides ist des-
halb inskünftig davon auszugehen, dass betreffend Alter des nachzu-
ziehenden Kindes auf den Zeitpunkt der Gesuchseinreichung und
nicht auf den Entscheidzeitpunkt abzustellen ist. Davon geht auch die
Vorinstanz in ihrer unaufgefordert eingereichten Stellungnahme vom
19. Juni 2006 zum Fall Tuquabo aus (S. 5, Ziff. 3.5). Unter Beach-
tung der Rechtsprechung des EGMR erweist sich damit die langjäh-
rige schweizerische Praxis, wonach sich die Betroffenen bei einem
Nachzug eines über 18-jährigen Kindes nur dann auf Art. 8 EMRK
berufen können, wenn eine faktische Familieneinheit besteht, die zu-
sätzliche Elemente einer Abhängigkeit aufweist, welche über nor-
male, gefühlsmässige Verbindungen hinausgehen, als zu restriktiv.
In casu war die Tochter des Beschwerdeführers bei Gesuchsein-
reichung 17 Jahre und 4 Monate alt. Sie ist deshalb bei der nachfol-
genden Beurteilung, ob der Schutzbereich von Art. 8 EMRK tangiert
ist, als minderjährig zu betrachten.
6.2.2. Im Weiteren ist zu prüfen, ob zwischen dem Beschwerde-
führer und seiner Tochter ein durch Art. 8 EMRK geschütztes Famili-
enleben besteht.
Der EGMR anerkennt, dass das biologische Verhältnis eines El-
ternteils zu seinem Kind für sich allein eine von Art. 8 EMRK ge-
schützte familiäre Beziehung darstellt, die durch Ereignisse nach der
Geburt des Kindes nur ausnahmsweise gebrochen werden kann
(vgl. Urteil des EGMR i.S. Gül gegen die Schweiz vom 19. Februar
1996, Application Nr. 23218/94, § 32). Zwischen einem Kind und
seinen Eltern besteht damit ohne weiteres ein Familienleben im
Sinne von Art. 8 EMRK. Dies gilt unabhängig davon, ob die Eltern
im Zeitpunkt der Geburt des Kindes noch zusammenleben ob
ihre Beziehung geendet hat (Urteil i.S. Keegan gegen Irland vom
26. Mai 1994, Serie A, Nr. 290, § 44) und unter Umständen selbst
dann, wenn die Eltern eines Kindes überhaupt nie einen gemeinsa-
men Haushalt geführt haben (Urteil i.S. Kroon u.a. gegen die Nieder-
lande vom 27. Oktober 1994, Serie A, Nr. 297-C, § 30).
Die Tochter des Beschwerdeführers ist am 10. Mai 1987 gebo-
ren. Der Beschwerdeführer war zum damaligen Zeitpunkt nicht ver-
heiratet und pflegte offenbar auch keine nähere Beziehung zur
Kindsmutter. Seine Tochter wurde bald nach der Geburt den Eltern
des Beschwerdeführers zur Pflege übergeben, welche sie aufgezogen
haben. Die Kindsmutter war danach an der Erziehung und Pflege, ab-
gesehen von gelegentlichen Kontakten, nicht beteiligt. Dem ent-
spricht auch das Urteil des ersten Zivilgerichts Konya vom 22. De-
zember 2003, welches dem Beschwerdeführer, nachdem er auf Fest-
stellung der elterlichen Gewalt geklagt hatte, das Sorgerecht über
seine Tochter zusprach. Die Tochter des Beschwerdeführers hat sich
demzufolge immer in seinem Familienkreis aufgehalten, wobei er sie
finanziell unterstützte, regelmässig persönlichen Kontakt zu ihr
pflegte und in sämtliche Entscheidungen betreffend seine Tochter in-
volviert war. Insofern rechtfertigt es sich, trotz des Umstandes, dass
die Tochter des Beschwerdeführers nicht in eine Ehe geboren worden
ist und ihre Eltern nie einen gemeinsamen Haushalt führten, davon
auszugehen, dass zwischen ihr und dem Beschwerdeführer ein Fami-
lienleben im Sinne von Art. 8 EMRK besteht und dass sie aufgrund
ihrer Minderjährigkeit bei Gesuchseinreichung zur Kernfamilie des
Beschwerdeführers zu zählen ist.
6.2.3. Nachdem der Entscheid der Vorinstanz betreffend Ver-
weigerung des Nachzugs der Tochter des Beschwerdeführers sein
durch Art. 8 Ziffer 1 EMRK geschütztes Familienleben tangiert und
auch das Alter der Tochter keinen Hinderungsgrund darstellt, steht
ausser Zweifel, dass sich der Beschwerdeführer auf Art. 8 EMRK be-
rufen kann.
6.3. Nachfolgend ist zu klären, ob die Verweigerung des Famili-
ennachzugs effektiv zu einem Eingriff in das durch Art. 8 Ziff. 1
EMRK geschützte Familienleben führt, was nicht der Fall wäre,
wenn es den Betroffenen zumutbar ist, das Familienleben im Ausland
zu führen.
Der Beschwerdeführer reiste im August 1987 in die Schweiz ein
und lebt seitdem hier. Im Februar 1998 heiratete er eine Schweizer
Bürgerin und knapp ein Jahr später kam sein Sohn zur Welt. Der Be-
schwerdeführer hält sich seit bald 20 Jahren rechtmässig in der
Schweiz auf und hat inzwischen gar das Schweizer Bürgerrecht er-
worben. Sein Sohn ist in der Schweiz geboren und lebt seither hier.
Dieser hat, wenn überhaupt, nur eine minimale Bindung zum Her-
kunftsland seines Vaters. Unter diesen Umständen ist es offensicht-
lich, dass eine Übersiedlung des Beschwerdeführers mit seiner hiesi-
gen Teil-Familie in sein Herkunftsland nicht nur mit der Überwin-
dung grosser Hindernisse verbunden wäre, sondern schlichtweg un-
zumutbar ist.
6.4. Nachdem ein Eingriff in das durch Art. 8 Ziff. 1 EMRK ge-
schützte Familienleben vorliegt, stellt sich weiter die Frage, ob der
Eingriff mit Art. 8 Ziff. 2 EMRK vereinbar ist.
Gemäss Art. 8 Ziff. 2 EMRK ist ein Eingriff in das von Ziff. 1
geschützte Rechtsgut statthaft, sofern er gesetzlich vorgesehen ist
und eine Massnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesell-
schaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ord-
nung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der
Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum
Schutz der Gesundheit und Moral sowie der Rechte und Freiheiten
anderer notwendig ist.
6.4.1. Als notwendige Massnahme kommt vorliegend primär
eine solche zum (wirtschaftlichen) Wohl des Landes in Frage. Es ist
- abgesehen von möglichen Integrationsproblemen aufgrund des
fortgeschrittenen Alters - nicht ersichtlich, inwiefern andere in Art. 8
Ziff. 2 EMRK genannte Teilaspekte des öffentlichen Interesses tan-
giert sein könnten. Bereits in BGE 120 Ib 1 (Pra 84 [1995] Nr. 4)
hielt das Bundesgericht fest, die Schweiz verfolge gegenüber Auslän-
dern in der Frage der Aufenthaltsberechtigung eine restriktive Poli-
tik. Sie tue dies insbesondere zum Schutze eines ausgewogenen
Gleichgewichts im Bestand der schweizerischen und ausländischen
Wohnbevölkerung. Ausserdem bezwecke sie damit eine Verbesse-
rung der Lage auf dem Arbeitsmarkt sowie die Sicherung einer mög-
lichst ausgeglichenen Beschäftigung (Art. 16 Abs. 1 ANAG, Art. 1
der Verordnung über die Begrenzung der Zahl der Ausländer [BVO]
vom 6. Oktober 1986). Zwar hat die schweizerische Ausländerpolitik
seit 1995 gegenüber gewissen Staatsangehörigen eine Anpassung er-
fahren (Dreikreise-Modell, Zweikreise-Modell, Freizügigkeitsab-
kommen etc.). Trotzdem besteht die vorgängig umschriebene Politik
insbesondere für die aus der Türkei nachzuziehende Tochter weiter.
Die restriktive Politik der Schweiz gegenüber Ausländern in der Fra-
ge der Aufenthaltsberechtigung entspricht damit einem zulässigen öf-
fentlichen Interesse im Sinne von Art. 8 Ziff. 2 EMRK.
6.4.2. Ob im Einzelfall gestützt auf Art. 8 EMRK eine Aufent-
haltsbewilligung zu erteilen ist, ist aufgrund der Abwägung aller zu
beachtenden öffentlichen und privaten Interessen zu entscheiden.
Das Rekursgericht ging bis anhin in Fällen wie dem vorliegenden da-
von aus, dass für die Interessenabwägung auf die entsprechenden Er-
wägungen zu Art. 17 Abs. 2 ANAG verwiesen werden kann (so noch
im Entscheid des Rekursgerichtes vom 3. März 2006, 1-BE.2005.47,
E. II/4.). Die Rechtsprechung des EGMR betreffend nachträglichen
Familiennachzug lässt an dieser Praxis indessen Zweifel aufkommen,
weshalb nachfolgend zu prüfen ist, ob an der bisherigen Praxis fest-
gehalten werden kann.
Zunächst gilt es zu beachten, dass die nationale Gesetzgebung
in Bezug auf die Familiennachzugsregelung andere Ziele verfolgt als
Art. 8 EMRK. Die nationale Gesetzgebung bestimmt, unter welchen
Voraussetzungen ein Familiennachzugsgesuch bewilligt werden kann
und ob darauf gegebenenfalls ein Anspruch besteht. Normiert wird
damit die Zuwanderung in die Schweiz zu einem hier lebenden Fa-
milienmitglied. Demgegenüber bezweckt Art. 8 EMRK lediglich den
Schutz des Familienlebens an sich, wobei nicht entscheidend ist, ob
das familiäre Zusammenleben in der Schweiz im Ausland er-
folgt. Art. 8 EMRK begründet damit nur insoweit einen Anspruch auf
Aufenthalt in der Schweiz, als eine Verweigerung zu einer gänzli-
chen Verhinderung des familiären Zusammenlebens und damit zu ei-
ner Verletzung von Art. 8 EMRK führen würde.
Bei der Beurteilung eines Familiennachzugsgesuches nach na-
tionaler Gesetzgebung stellt sich überdies die Frage, ob das Famili-
enleben auch im Ausland geführt werden könnte, gar nicht. Denn
selbst wenn das Familienleben auch im Ausland geführt werden
könnte, dürfte der Nachzug nicht verweigert werden, sofern die ge-
setzlichen Voraussetzungen für den Nachzug erfüllt sind.
Bei der Beurteilung der Frage, ob eine Verletzung von Art. 8
EMRK vorliegt, haben die nationalen Behörden und Gerichte die
Rechtsprechung des EGMR zu berücksichtigen. In Bezug auf die
Verhältnismässigkeitsprüfung bedeutet dies, dass sowohl hinsichtlich
der für die Beurteilung der öffentlichen und privaten Interessen ent-
scheidenden Kriterien als auch der anzuwendenden Gewichtungen
auf die Urteile des EGMR insoweit abzustellen ist, als dieser den na-
tionalen Verwaltungs- und Justizbehörden nicht einen entsprechen-
den Beurteilungsspielraum belässt.
6.4.3. Betreffend Interessenabwägung im Falle eines nachträgli-
chen Familiennachzugs führt der EGMR aus, dass der Umfang der
Verpflichtung eines Staates, Angehörigen von Einwanderern den
Aufenthalt zu gestatten, von der Situation der Personen wie auch
vom Allgemeininteresse abhängt. Entsprechend einem allgemein an-
erkannten völkerrechtlichen Grundsatz und vorbehaltlich seiner ver-
traglichen Verpflichtungen hat ein Staat das Recht, die Einreise von
Nichtstaatsangehörigen in sein Gebiet einer Kontrolle zu unterwer-
fen. Ausserdem kann in Einwanderungsangelegenheiten nicht davon
ausgegangen werden, dass Art. 8 EMRK einem Staat die allgemeine
Verpflichtung auferlegt, die Wahl der Ehepaare hinsichtlich eines
Landes für ihre gemeinsame Niederlassung anzuerkennen und die
Zusammenführung der Familie auf seinem Staatsgebiet zu erlauben
(was selbstredend auch für einen Elternteil gilt). Für die Feststellung
des Umfangs der Verpflichtung eines Staates, ein Familiennachzugs-
gesuch zu bewilligen, sind das Alter der betroffenen Kinder, die Situ-
ation in ihrer Heimat und die Abhängigkeit von ihren Eltern zu be-
rücksichtigen (Urteil i.S. en gegen Niederlande vom 21. Dezember
2001, Application Nr. 31465/96 [Fall en], § 36; Fall Tuquabo, § 43
mit weiteren Hinweisen).
Bezüglich der massgeblichen Kriterien zur Interessenabwägung
prüft der EGMR im Wesentlichen dieselben Kriterien wie das Bun-
desgericht (vgl. hierzu E. II, 2.3). Hingegen fehlt im Vergleich zur
Rechtsprechung des Bundesgerichts im EGMR-Urteil Tuquabo jegli-
cher Hinweis darauf, dass der Nachzug durch einen Elternteil anders
zu beurteilen wäre, als der Nachzug durch beide Eltern. Vielmehr
ging der EGMR bei der Beurteilung eines nachträglichen Familien-
nachzugs durch die verwitwete Mutter von einer Sachlage aus, die
hinsichtlich der massgeblichen Kriterien im Wesentlichen mit derje-
nigen im Fall en vergleichbar sei, wo die Ablehnung eines durch
beide Eltern gemeinsam gestellten Familiennachzugsgesuchs für eine
Tochter als Verletzung von Art. 8 EMRK qualifiziert wurde (Fall Tu-
quabo, § 47). Diese Gleichstellung ist wohl darauf zurückzuführen,
dass der EGMR auch nicht traditionelle Familienformen unter den
Schutz von Art. 8 EMRK stellt. Ebenfalls hält es der EGMR in Ab-
weichung von der bundesgerichtlichen Rechtsprechung offenbar
nicht für entscheidend, ob die Eltern ihre Kinder freiwillig im Hei-
matland zurückgelassen haben. Er führt diesbezüglich aus, dass El-
tern, welche ihre Kinder bei einer Niederlassung im Ausland im Hei-
matland zurücklassen, nicht entgegengehalten werden darf, sie hätten
unwiderruflich entschieden, dass diese Kinder für immer im Her-
kunftsland bleiben sollen und jeglichen Gedanken an eine spätere
Zusammenführung der Familie aufgegeben (Fall en, § 40, Fall Tu-
quabo, § 47). Betreffend die Wahl des Zeitpunkts des Nachzugs hob
der EGMR im Fall Tuquabo zwar hervor, dass die Mutter bereits er-
folglos versucht hatte, ihre Tochter im Alter von 9 Jahren nachzuzie-
hen, hielt diese Nachzugsbemühungen indes nicht für ausschlagge-
bend (Fall Tuquabo, § 51). Im Weiteren steht auch ein fortgeschritte-
nes Alter des nachzuziehenden Kindes einem Familiennachzug nicht
entgegen. Im Fall Tuquabo, bei dem der Nachzug einer fast 16-jähri-
gen Tochter beurteilt wurde, kam der EGMR zum Schluss, das fort-
geschrittene Alter rechtfertige gegenüber dem Fall en, wo es um
den Nachzug eines 9-jährigen Kindes ging, keine andere Würdigung.
Betreffend die Verwurzelung des Kindes im Heimatland sowie die
dortige Betreuungssituation stellte der EGMR im Fall Tuquabo fest,
dass die Tochter aufgrund ihres Alters sprachlich und kulturell stark
mit dem Heimatland verwurzelt war und dass nicht geltend gemacht
wurde, die Verwandten könnten sie im Heimatland nicht mehr be-
treuen. Hingegen wurde ausgeführt, dass es für die Tochter aufgrund
ihres Alters angemessener sei, bei ihrer Mutter zu wohnen. Begrün-
det wurde dies im konkreten Fall damit, dass die Tochter durch die
betreuende Grossmutter nicht mehr zur Schule geschickt worden sei,
weil sie im Heimatland in heiratsfähigem Alter war. Die Mutter war
damit nicht einverstanden, konnte jedoch aufgrund ihrer Abwesen-
heit nichts dagegen unternehmen (Fall Tuquabo, § 50).
Der EGMR hat im Fall Tuquabo zusammengefasst ausgeführt,
dass die Mutter ihre Tochter allenfalls freiwillig im Heimatland zu-
rückgelassen habe. Ebenfalls wurde festgestellt, dass die Tochter bei
Gesuchseinreichung bereits 15 Jahre alt war, von Verwandten aufge-
zogen wurde und seit mehreren Jahren von der Mutter getrennt lebte.
Im Weiteren hielt der EGMR fest, dass die Tochter sprachlich und
kulturell im Heimatland stark verwurzelt, eine Betreuung durch die
Verwandten weiterhin möglich und ein Verbleib im Heimatland zu-
mutbar war. Bei einer derartigen Sachlage wäre gemäss bundesge-
richtlicher Rechtsprechung ein Anspruch auf Familiennachzug man-
gels faktisch vorrangiger familiärer Beziehung sowie Notwendigkeit
zu verneinen. Demgegenüber gelangte der EGMR trotz dieser (an
sich gegen einen Nachzug sprechenden) Argumente zum Schluss, der
Familiennachzug müsse bewilligt werden.
Der Entscheid im Fall Tuquabo lässt keinen anderen Schluss zu,
als dass der EGMR der Frage, ob es der um Nachzug ersuchenden
Partei zumutbar ist, das Familienleben auch im Heimatland aufzu-
bauen, grosse, wenn nicht gar zentrale, Bedeutung zumisst und im
Falle einer Unzumutbarkeit von einem dementsprechend sehr gros-
sen privaten Interesse an der Bewilligung des Familiennachzugs aus-
geht.
In den Fällen en sowie Tuquabo erachtete es der EGMR für
die um Nachzug ersuchende Partei als unzumutbar, ihre jeweilige Fa-
milie im Herkunftsland zusammenzuführen. Im Fall en wurde argu-
mentiert, die Eltern lebten seit Jahren rechtmässig im Gastland und
hätten dort zwei weitere Kinder geboren, welche, wenn überhaupt,
nur wenig Bezug zum Herkunftsland hätten. Im Fall Tuquabo hatte
die Mutter im Gastland erneut geheiratet und aus zweiter Ehe zwei
weitere Kinder geboren, welche ebenfalls keinen nennenswerten Be-
zug zum Herkunftsland hatten. Überdies hatte die Mutter in der Zwi-
schenzeit gar die Staatsbürgerschaft des Gastlandes erworben. Aus
diesen Gründen kam der EGMR in beiden Fällen zum Schluss, dass
die Bewilligung des Nachzugs der Entwicklung eines Familienlebens
am Besten gerecht werde bzw. eine Zusammenführung der Familie
im Ausland für die Betroffenen unzumutbar wäre und auch keine
überwiegenden öffentlichen, insbesondere migrationspolitische, Inte-
ressen gegen die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung sprechen
würden.
Zusammenfassend ergibt sich, dass der EGMR bei Anwendung
von Art. 8 EMRK nicht zwischen intakten und getrennten Familien
unterscheidet. Weiter verlangt er weder eine vorrangige Beziehung
noch einen Nachweis zwingender Gründe für die Änderung der Be-
treuung. Auch fortgeschrittenes Alter, Verwurzelung im Heimatland
sowie lange Dauer des Getrenntlebens stehen gemäss EGMR einem
Familiennachzug nicht entgegen. Ausschlaggebend ist zum einen die
Anerkennung, dass die Beziehung Eltern Elternteil zum Kind
bereits eine Bindung schafft, die als Familienleben zu bezeichnen ist
und welche durch spätere Ereignisse für gewöhnlich nicht gebrochen
wird (Fall Gül, § 32; Fall en, § 28) und zum anderen, dass es der
um Nachzug ersuchenden Partei nicht zumutbar ist, ins Herkunfts-
land zurückzukehren (Fall en, § 40 f.; Fall Tuquabo, § 47 f.). Der
EGMR geht mit anderen Worten davon aus, dass eine Verletzung von
Art. 8 EMRK vorliegt, wenn die um Nachzug ersuchende Partei, der
eine Rückkehr ins Heimatland unter Würdigung ihrer gesamten Le-
bensumstände nicht zugemutet werden kann, vor die Wahl gestellt
wird, entweder das in der neuen Heimat Erarbeitete aufzugeben oder
ihre Kinder getrennt von ihr aufwachsen zu lassen (Fall en, § 41).
Ohne dies explizit zu erwähnen, erachtet der EGMR das öffent-
liche Interesse an der Bewilligungsverweigerung, welches einzig
darin bestand, das (wirtschaftliche) Wohl des Landes sicherzustellen,
gegenüber den privaten Interessen als weniger gewichtig.
6.4.4. Bei Prüfung und Gegenüberstellung der öffentlichen und
privaten Interessen gilt es zudem Folgendes zu beachten. Wird ein
Kriterium - wie zum Beispiel die Notwendigkeit des Nachzugs eines
Kindes - untersucht, ist zunächst festzuhalten, ob dieses als Aspekt
des öffentlichen Interesses an der Bewilligungsverweigerung als
privates Interesse an der Bewilligungserteilung betrachtet wird. Bei
den meisten Kriterien liegt die Zuteilung auf der Hand. Ergibt die
konkrete Prüfung, dass entweder das öffentliche Interesse an einer
Bewilligungsverweigerung das private Interesse an einer Be-
willigungserteilung erhöht wird, ist dies in der Gesamtabwägung ent-
sprechend zu berücksichtigen. Ergibt die konkrete Prüfung jedoch,
dass sich kein erhöhtes Interesse ableiten lässt, bleibt das Kriterium
unberücksichtigt. Insofern ist auch verständlich, wenn der EGMR im
Fall Tuquabo verschiedene potentielle private Interessen überprüft
und diese als nicht entscheidrelevant bezeichnet. Selbst wenn sich
z.B. der Familiennachzug aus Sicht des Kindes als nicht notwendig
erweist, bedeutet dies einzig, dass sich aus dem Kriterium der Not-
wendigkeit nichts im Hinblick auf eine Erhöhung der privaten In-
teressen ableiten lässt. Dies ist solange nicht relevant, als aufgrund
anderer privater Interessen an der Bewilligungserteilung kein über-
wiegendes öffentliches Interesse an der Bewilligungsverweigerung
resultiert. Klarzustellen ist, dass für die Zulässigkeit der Bewilli-
gungsverweigerung ein überwiegendes öffentliches Interesse an der
Verweigerung bestehen muss und nicht erforderlich ist, dass für ein
erfolgreiches Berufen auf Art. 8 EMRK ein überwiegendes privates
Interesse nachgewiesen wird. Dies geht direkt aus Art. 8 Ziff. 2
EMRK hervor, denn eine zu ergreifende Massnahme kann nur dann
als notwendig bezeichnet werden, wenn ein überwiegendes öffentli-
ches Interesse an ihrer Durchsetzung besteht.
6.5. Im vorliegenden Fall steht fest, dass dem Beschwerdeführer
nicht zugemutet werden kann, die Schweiz zwecks Familienzusam-
menführung mit seiner Tochter zu verlassen und in sein Herkunfts-
land zurück zu kehren. Die Verweigerung des Familiennachzugs
würde somit zu einer (weiter andauernden) Trennung des Beschwer-
deführers und seiner Tochter führen, weshalb von einem sehr grossen
privaten Interesse an der Bewilligung des Familiennachzugsgesuches
auszugehen ist. Das gegenüberstehende öffentliche Interesse an der
Verweigerung der Aufenthaltsbewilligung resultiert - wie in den
Fällen en und Tuquabo - einzig in der Sicherstellung des (wirt-
schaftlichen) Wohles des Landes. Zwar ist dieses grundsätzlich zwei-
fellos erheblich. Als "abstraktes" öffentliches Interesse hat es jedoch
gegenüber konkreten privaten Interessen in den Hintergrund zu tre-
ten. Dies umso mehr, als mit einer geeigneten Migrationspolitik das
wirtschaftliche Wohl des Landes genauso gut sichergestellt werden
kann, ohne gegen die EMRK zu verstossen. Nicht in den Hintergrund
treten müsste das öffentliche Interesse dann, wenn die Bewilligungs-
verweigerung z.B. aus der Straffälligkeit eines Betroffenen resultierte
und es darum ginge, die öffentliche Sicherheit vor einer konkreten
Bedrohung zu schützen. Weitere Umstände, welche hier auf ein er-
höhtes öffentliches Interesse an der Bewilligungsverweigerung hin-
deuten würden, sind weder ersichtlich noch werden solche durch die
Vorinstanz angeführt.
6.6. Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EGMR
besteht damit im vorliegenden Fall kein überwiegendes öffentliches
Interesse an der Bewilligungsverweigerung.
7. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Verweigerung
des Familiennachzugs gemäss nationalem Recht nicht zu beanstan-
den ist. Hingegen verstösst sie gegen Art. 8 EMRK. Es stellt sich
demnach die Frage, in welchem Verhältnis das nationale Recht zum
Völkerrecht steht.
Wenn Bestimmungen des nationalen Rechts dem Völkerrecht
widersprechen, geht das Völkerrecht grundsätzlich vor. Nationales
Recht hat gegenüber entgegenstehendem Völkerrecht nur dann Vor-
rang, wenn der Gesetzesgeber völkerrechtswidriges Landesrecht aus-
drücklich in Kauf genommen hat. Landesrecht gilt im Weiteren nur
dann als völkerrechtswidrig, wenn es nicht völkerrechtskonform aus-
gelegt werden kann.
Der in casu analog anwendbare Art. 17 Abs. 2 ANAG besagt,
dass ledige Kinder unter 18 Jahren Anspruch auf Einbezug in die
Niederlassungsbewilligung der Eltern haben, wenn sie mit ihnen zu-
sammenwohnen. Diese Bestimmung ist - nach konstanter Rechtspre-
chung des Bundesgerichts - dem Wortlaut nach zwar auf den Nach-
zug von Kindern durch beide Elternteile zugeschnitten. Sie verbietet
indes weder eine weitergehende Bewilligung von Familiennachzügen
noch widerspricht sie dem Wortlaut von Art. 8 EMRK dessen
Auslegung durch den EGMR. Eine völkerrechtskonforme Auslegung
von Art. 17 Abs. 2 ANAG ist daher ohne Weiteres möglich, weshalb
im konkreten Fall nicht von völkerrechtswidrigem Landesrecht ge-
sprochen werden kann.
8. Nach dem Gesagten ist die Beschwerde im Hinblick auf die
Rechtsprechung des EGMR zu Art. 8 EMRK gutzuheissen, da in
casu die Familienzusammenführung ausserhalb der Schweiz unzu-
mutbar ist und für den mit der Bewilligungsverweigerung verbunde-
nen Eingriff in das Familienleben kein überwiegendes öffentliches
Interesse besteht. Ein Berufen auf Art. 8 EMRK kann dem Be-
schwerdeführer zudem auch aufgrund des im Laufe des Verfahrens
überschrittenen 18. Altersjahrs der Tochter nicht verwehrt werden.
Das Migrationsamt ist unter diesen Umständen anzuweisen, das
Familiennachzugsgesuch zu bewilligen und den Aufenthalt der Toch-
ter des Beschwerdeführers zu regeln.
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